Gipfeltreffen

Gipfeltreffen

Einmal im Jahr gehe ich auf den Berg. Mit meinem Freund Tibor. Tibor ist Diplomat. In Israel.

Bis vor kurzem war er Generalkonsul, hier in Bayern. Rund um die Uhr bewacht. Im goldenen Käfig. Immer wieder gelang es ihm aber in die Berge zu entwischen. Und die Sehnsucht ist geblieben. Hoch droben in den Felsen, durchatmen. Freiheit, Weite, Unendlichkeit. Klingt pathetisch? Ja, ist es auch.

Vor allem für jemanden, der umgeben ist von Nachbarn, die ihn schlicht und ergreifend vernichten wollen. Auslöschen. Wie schon einmal vor über siebzig Jahren.

Tibor erzählt während wir die Höllentalklamm hochsteigen. Als Student kam er nach Heidelberg. Man quartiert ihn in ein ökumenisches Studentenheim. 27 Zimmer. 26 Einzel, ein Doppel. Je 13 katholische und evangelische Studenten krallen sich die Einzelzimmer. Tibor bekommt Ahmed als Zimmergenossen. Beide werden beste Freunde. Der Jude und der Muslim.

Das prägt. Bis heute. Tibor ist mit den „westlichen Werten“ aufgewachsen. Menschrechte, Liberalität, Gleichheit. Und jetzt kann er sie nicht anwenden. Als Diplomat in Israel. Das Land soll zerstört werden. Seine Familie, das ganz Volk ist bedroht. Und der Feind?

Der versteckt sich. Nimmt seine „Brüder“ in Geiselhaft und zwingt der höchtstechnologisierten Armee der Region einen Guerillakampf auf, den sie niemals gewinnen kann.

Man erinnert sich an Vietnam. Der Tod, das Leid der Zivilbevölkerung machen Tibor betroffen.

Die Alternative? Es gibt keine. Abwarten. Wer wird das Ruder übernehmen.

Die IS? Längst schon da. Die Hamas? Eine Terrororganisation. Wie will man mit denen verhandeln? Was kommt danach. Eine friedliche Lösung ist nicht in Sicht. Fehler werden auf beiden Seiten gemacht. Keine Frage.

Der Gipfel ist erreicht. Wir tauschen unsere „Jause“, Orangen gegen hartgekochtes Ei, Müsliriegel gegen Käsescheiben. Und endlich ist die Almhütte erreicht. Kaltes Bier, ein Wahnsinnspanorama und viele unbeantwortete Fragen. Aber vielleicht sind wir ja nächstes Jahr ein Stück weiter, Israel, Tibor und ich, wenn wir wieder auf den Berg gehen.

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